veröffentlicht bei lovelybooks von PhoenixDecay 2014:
Mathias Wünsche's Kölner Schatten ist ein spannender Krimi und beeindruckendes Psychogramm. Er packt den Leser und zerrt ihn in die Welt von Charakteren, die ein wenig mehr getrieben zu sein scheinen, als andere. In die Welt von Menschen wie Marie, die so nicht immer konform handeln und in der Folge missverstanden werden. Wir nennen sie aufgrund ihres Verhaltens krank, aber sie selbst haben einfach keine Wahl. Im Laufe der Handlung summieren sich all diese kleinen und größeren Konflikte, werfen tiefere Schatten und kulminieren auf dramatische Art und Weise, bis wir uns am Ende fragen, was überhaut noch normal ist.
»Nein, er lässt ihn nicht zu, den Gedanken, dass sein Vorhaben verwerflich oder gar unmoralisch sein könnte. Es ist ganz einfach: Es muss es tun und darf sich dabei nicht erwischen lassen − das allein sind die Spielregeln. Friss oder stirb.«
Der Autor muss Kinofan sein: Er entwickelt die Geschichte in zum Teil filmischen Bilder, manches Kapitel, manche Szene wirkt schnell geschnitten. Der Ablauf ist überwiegend handlungsgetrieben, wie in jedem guten Krimi strebt der Leser nach einer Auflösung der Geschichte. Trotzdem ist es bemerkenswert, dass es im Nachhinein die Charaktere sind, die bleiben.
Ihr Innenleben wird sehr klar und dies bewirkt Wünsche mit einem durchaus konsequenten Mittel: Die Charaktere rechtfertigen, erklären ihr Verhalten durch innere Monologe. Sie erklären sich selbst und damit dem Leser. Innere Konflikte werden dadurch ungefiltert weitergegeben und geben uns einen lebhaften Einblick in die Entscheidungsfindung und den Charakter der Figuren. Diese bleiben so immer glaubhaft, hineinversetz- und nachvollziehbar.
Dies alles schafft Wünsche, ohne Tempo aus dem Schreibstil zu nehmen. Der Leser fühlt immer die Hastigkeit, die Rastlosigkeit, die vermittelte Atmosphäre ist stets stilsicher. Er fühlt regelrecht, wie sehr die Figuren sich nach innerem Frieden verzehren.
»Du lässt mir keine Wahl. Ich habe dir ein mehr als großzügiges Angebot gemacht, aber du willst es ja nicht annehmen. So zwingst du mich, zu anderen Mitteln zu greifen.«
Ein einziges Problem hatte ich, kann es aber schwerlich dem Werk oder dem Autor zuschreiben. Im Gegenteil ist es eher als Stärke anzusehen. Durch persönliche Seh- und Lesegewohnheiten fiel es mir durch die tiefe und lebhafte Charakterzeichnung äußerst schwer Marie loszulassen. Ich wollte länger bei ihr verweilen, mehr über ihr Leben erfahren. Die Lektüre war mir einfach zu kurz.
Aber auch das ist konsequent, bedenkt man das Thema des Werks. Bedenkt man die Figuren, die möglichst schnell versuchen, ihr Ziel zu erreichen, ihr Leid zu stoppen.
Es ist durchaus auch ein Verdienst, dass der Eindruck entsteht, die Grenze zwischen krank dargestellten und normal wirkende Figuren verschwimme zunehmend. Die beobachtbaren Parallelen stellen gar uns, dem Leser − den normalsten Menschen auf der Welt − die Frage, was denn eigentlich uns selbst motiviert und antreibt.
Das Schöne an Kölner Schatten ist dann auch, dass wir dies alles auch ganz direkt an uns selbst miterleben können. Denn wer das Buch einmal in der Hand hatte, wird selbst zum Getriebenen, der erst wieder loslassen kann, wenn die letzte Seite Frieden bringt.